Sizilianische Kontrafakturen: Versuch zur Frage der Einheit von Musik und Dichtung in der sizilianischen und sikulo-toskanischen Lyrik des 13. Jahrhunderts
Joachim Schulze
Vorbemerkung
Auf den Gegenstand, der in dieser Studie behandelt wird, bin ich zwar zu meinem
eigenen Erstaunen, aber doch mit einer gewissen Folgerichtigkeit gestoßen.
Ursprünglich hatte ich nichts weiter vor, als die merkwürdige Entstehung und
Ausbreitung der These von der Loslösung der Lyrik von der Musik, dem«divorzio
tra musica epoesia»,bei den Dichtem der Sizilianischen Schule darzustellen und
einige Argumente geltend zu machen, die nach meiner Überzeugung gegen diesen
«divorzio»sprechen. DieMitteilung des Chronisten Salimbene, derzufolge
Kaiser Friedrich11.nicht nur lesen und schreiben konnte, sondern auch«cantare
sciebat et cantilenas et cantionesinvenire»,hatte ich schon früh kennengelernt
und es hatte mir daher von Anfang an wenig eingeleuchtet, daß ausgerechnet im
KreisediesesbeiseinenZeitgenossenerklärtermaßenauchwegenseiner
Sangeskunst und Komponistenfähigkeiten berühmten Fürsten der Minnesang
ohne die sonst überall in Europa noch dazugehörige Musik betrieben worden sein
sollte. Wie fest auf der anderen Seite namentlich in Italien die Überzeugung
verwurzelt ist, daß die frühe italienische Lyrik als melodielos anzusehen sei,
wurde mir noch einmal deutlich, als ich Gelegenheit hatt, Cesare Segre gegenüber
einige Andeutungen über mein Vorhaben zu machen.Erantwortete darauf mit der
Bemerkung:«Sarebbeuna rivoluzione!». Damals lag es mir noch gänzlich fern,
zu vermuten, daß man bei diesen Lyrikern auch auf Kontrafakturen stoßen könnte
und sichindem einen oder anderen Fall möglicherweise noch der Nachweis
führen ließe, zu welchen Melodien sie gesungen haben.Aufdiese Vermutung bin
ich auch dann noch nicht gekommen, als ich damit begonnen hatte, aus den
überlieferten Trobadormelodien die eine oder andere herauszusuchen, die mehr
oder weniger zum Metrum einer sizilianischen Kanzone paßte,ummit ihrer Hilfe
den Studenten eines Seminars über die Sizilianer auch ad aures zu demonstrieren,
wie die sizilianischen Lieder damals ungefähr geklungen haben könnten. Erst
…
Auf den Gegenstand, der in dieser Studie behandelt wird, bin ich zwar zu meinem
eigenen Erstaunen, aber doch mit einer gewissen Folgerichtigkeit gestoßen.
Ursprünglich hatte ich nichts weiter vor, als die merkwürdige Entstehung und
Ausbreitung der These von der Loslösung der Lyrik von der Musik, dem«divorzio
tra musica epoesia»,bei den Dichtem der Sizilianischen Schule darzustellen und
einige Argumente geltend zu machen, die nach meiner Überzeugung gegen diesen
«divorzio»sprechen. DieMitteilung des Chronisten Salimbene, derzufolge
Kaiser Friedrich11.nicht nur lesen und schreiben konnte, sondern auch«cantare
sciebat et cantilenas et cantionesinvenire»,hatte ich schon früh kennengelernt
und es hatte mir daher von Anfang an wenig eingeleuchtet, daß ausgerechnet im
KreisediesesbeiseinenZeitgenossenerklärtermaßenauchwegenseiner
Sangeskunst und Komponistenfähigkeiten berühmten Fürsten der Minnesang
ohne die sonst überall in Europa noch dazugehörige Musik betrieben worden sein
sollte. Wie fest auf der anderen Seite namentlich in Italien die Überzeugung
verwurzelt ist, daß die frühe italienische Lyrik als melodielos anzusehen sei,
wurde mir noch einmal deutlich, als ich Gelegenheit hatt, Cesare Segre gegenüber
einige Andeutungen über mein Vorhaben zu machen.Erantwortete darauf mit der
Bemerkung:«Sarebbeuna rivoluzione!». Damals lag es mir noch gänzlich fern,
zu vermuten, daß man bei diesen Lyrikern auch auf Kontrafakturen stoßen könnte
und sichindem einen oder anderen Fall möglicherweise noch der Nachweis
führen ließe, zu welchen Melodien sie gesungen haben.Aufdiese Vermutung bin
ich auch dann noch nicht gekommen, als ich damit begonnen hatte, aus den
überlieferten Trobadormelodien die eine oder andere herauszusuchen, die mehr
oder weniger zum Metrum einer sizilianischen Kanzone paßte,ummit ihrer Hilfe
den Studenten eines Seminars über die Sizilianer auch ad aures zu demonstrieren,
wie die sizilianischen Lieder damals ungefähr geklungen haben könnten. Erst
…
Volume:
230
Year:
1992
Publisher:
Max Niemeyer Verlag
Language:
german
Pages:
272
ISBN 10:
3110930811
ISBN 13:
9783484522305
Series:
Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie; 230
File:
PDF, 79.63 MB
IPFS:
,
german, 1992
This book isn't available for download due to the complaint of the copyright holder